Vereinbarkeit - ein Privileg?

Check your privileges-Time. Es ist wieder soweit. Während ich durch soziale Medien scrolle, kommt ein altbekannte Gefühl in mir hoch: Vereinbarkeit steht und fällt mit den eigenen Privilegien beziehungsweise der Abwesenheit von solchen. 

Ich sehe Stories von Menschen, die ihren Tag mit einem Cappuccino im Café und Laptop auf dem Schoß beginnen. Ein durchgeplanter, aber scheinbar frei gestaltbarer Alltag. Und ich denke: Das sieht bei vielen – auch bei mir – oft ähnlich aus (okay, vielleicht eher auf dem Balkon – Café bedeutet schließlich 5,60 € pro Tasse). Und dann kriecht es wieder hoch, dieses Gefühl: Scham. Oder sogar ein diffuses Schuldgefühl. Nicht, weil ich etwas „falsch“ mache. Sondern weil ich weiß, dass diese Art von Vereinbarkeit längst nicht allen zugänglich ist.

Denn was ist mit all den Menschen, die sich nicht einfach mal mit Laptop und To-Do-Liste zurückziehen können? Die im engen Korsett von 9-to-5, in Schichtarbeit oder körperlichen Berufen arbeiten – mit wenig Raum für Pausen, für Rhythmen, für Flexibilität? Die keine Homeoffice-Möglichkeit haben, keine familienfreundlichen Strukturen, keinen Partner oder keine Absicherung im Hintergrund?

Vereinbarkeit ist keine reine Frage der Organisation oder Disziplin. Es ist eine Frage von Ressourcen. Von Macht. Von Privilegien. Und ja – ich kenne auch die andere Seite. Die Jahre, in denen das Jonglieren zwischen Erwerbsarbeit und Carearbeit vor allem eins war: Überforderung. Die Momente, in denen das schlechte Gewissen nie Pause hatte – weder gegenüber dem Job noch gegenüber dem Kind. Die Realität, dass Verständnis für Vereinbarkeit am Arbeitsplatz keine Selbstverständlichkeit ist.

Dass ich heute einen Beruf habe, der mir mehr Spielraum gibt – das ist nicht nur eine individuelle Entscheidung oder Folge von "Mut". Es ist ein Privileg. Und es ist mein Reminder, es nicht selbstverständlich zu nehmen.

Denn während ein Teil von uns Vereinbarkeit (zumindest phasenweise) lebt, kämpft ein anderer Teil täglich darum, überhaupt Luft zum Atmen zu bekommen. Das darf nicht so bleiben. Deshalb wünsche ich mir: weniger Vergleiche, mehr Solidarität. Weniger Schuldgefühle, mehr politisches Engagement.

Vereinbarkeit darf kein Luxus sein. Sondern muss Realität für alle werden.

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